Objekt: | Gedenkstein für Susanna Margaretha Brandt |
Standort: | Sommerhoffpark |
Stadtteil: | Gallus |
Künstler*in: | unbekannt |
Entstehung: | 2021 |
Aufstellung: | 2021 |
Eigentum von: | Stadt Frankfurt, Kulturamt |
Susanna Margaretha Brandt
1772 als "Kindsmörderin" verurteilt und auf der Hauptwache hingerichtet
Hier im ehemaligen Friedhof des Gutleuthofes bestattet
Als Gretchen in Goethes Faust unsterblich
So lautet die Inschrift auf dem 2021 errichteten Gedenkstein im Sommerhoffpark. Er erinnert an das erschütternde Schicksal der jungen Frankfurterin Susanna Margaretha Brandt, die Ende des 18. Jahrhunderts als "Kindsmörderin" verurteilt und auf dem "Schandfriedhof" des Gutleuthofs, der sich an dieser Stelle befand, bestattet wurde.
Es spricht einiges dafür, dass Susanna Margaretha Brandt das Vorbild für die Figur des Gretchen in Goethes Faust ist, auch wenn dies nicht durch Quellen zu belegen ist. Der Direktor des Freien Deutschen Hochstifts Ernst Beutler (1885–1960) hielt dies aber schon in den 1930er Jahren für wahrscheinlich, weil sich in der Bibliothek von Goethes Vater auch eine Abschrift des Sektionsberichts des getöteten Kindes befindet. Daher kennt man den Gedenkstein auch als Gedenkstein Gretchen.
Susanna Margaretha Brandt hat nie eine Schule besucht, früh ihre Eltern verloren und arbeitete als Dienstmagd in einer einfachen Herberge. Sie hatte mit einem angeblich durchreisenden Handwerksgesellen Geschlechtsverkehr und wurde ungewollt schwanger. Das Kind, das Susanna Margaretha Brandt zur Welt brachte, wurde kurze Zeit später tot aufgefunden. Im folgenden Strafprozess gestand sie auf die drängenden Fragen der ausgebildeten Juristen, das Kind getötet zu haben. Diese teilten ihre Beurteilung: "Mord" dem entscheidenden Rat der Stadt mit. Dieser bestellte (erst jetzt) einen Verteidiger, der trotz eines großartigen, einfühlsamen Plädoyers nur die damals mildeste Todesstrafe, Enthauptung, erreichen konnte.
Gemäß der Peinlichen Halsgerichtsordnung Kaiser Karls V. von 1532 (Constitutio Criminalis Carolina) war Kindsmord ein "todeswürdiges" Verbrechen, das durch besonders grausame Formen der Todesstrafe wie Begraben bei lebendigem Leib, Pfählen oder Ertränken geahndet werden sollte. Der Fall der Susanna Margaretha Brandt ist einer von 139 Fällen von Kindsmord, die im Institut für Stadtgeschichte in dem Archivbestand Criminalia: Akten für den Zeitraum von 1589 bis 1822 dokumentiert sind. Nicht alle Fälle endeten mit einem Todesurteil. Frauen, die trotz Folter nicht gestanden, konnten nicht zum Tode verurteilt werden, sondern wurden dann zumeist aus der Stadt ausgewiesen. Demgegenüber steht sicherlich eine unbekannte Dunkelziffer von nicht entdeckten Kindstötungen.
Frauen, die unehelich schwanger wurden, waren gesellschaftlicher Stigmatisierung ausgesetzt, die oft auch mit sozialer Ächtung und wirtschaftlicher Not einherging. Prinzipiell war es möglich, den Vater des unehelichen Kindes auf Heirat oder Unterhalt zu verklagen, allerdings konnten Männer sich dieser Verpflichtung entziehen. Im 18. Jahrhundert erfolgte eine schrittweise Abkehr von dieser Strafpraxis, was sich im Falle Susanna Margaretha Brandts in der Hinrichtung mit dem Schwert und der anschließenden Bestattung niederschlug – dies galt als weniger ehrenrührig als andere Hinrichtungsformen. Der barbarische Brauch, Leichname nach der Hinrichtung zur Abschreckung am Galgen hängen zu lassen, gehörte ebenfalls bereits der Vergangenheit an. Im Zuge der Aufklärung gelangte man zu der Einsicht, dass Frauen ihre unehelich geborenen Kinder nicht aus Bosheit, sondern aus materieller Not und Furcht vor sozialer Ächtung umbrachten. Kindsmord wurde jetzt mit Gefängnishaft bestraft.
Nach Susanne Margaretha Brandt wurden in Frankfurt noch zwei Frauen aufgrund des Straftatbestands Kindsmord hingerichtet (1777 und 1785). Die Constitutio Criminalis Carolina (CCC), nach der Susanna Margaretha Brandt verurteilt und hingerichtet wurde, wurde 1871 vom Ersten Deutschen Strafgesetzbuch abgelöst.
Mit der Aufnahme des § 217 "Kindstötung" ins Strafgesetzbuch wurde der "Kindsmord" abgelöst. Die Gerichte berücksichtigten immer mehr auch die Notlagen der Frauen, was schließlich dazu führte, dass die Todesstrafe für dieses Delikt abgeschafft wurde. Die Zahl von Kindstötungen wurde immer seltener. 1998 wurde der § 217 StGB schließlich abgeschafft und aus dem Strafgesetzbuch gestrichen. Der Tatbestand der Kindstötung, der sich im Gesetzestext auf die Tötung ausschließlich unehelicher Neugeborener bezog, existiert heute nicht mehr.
Nach heutiger Rechtslage könnte Susanna Margaretha Brandt mit einem milderen Urteil rechnen. Zum 249. Geburtstag Goethes spielte ein Gericht mit dem Richter am Hessischen Staatsgerichtshof Roland Kern, dem leitenden Oberstaatsanwalt Hubert Harth und dem Rechtsanwalt Dr. Rüdiger Volhard den Prozess "in zweiter Instanz" durch. Dabei wurde die Frankfurterin zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren auf Bewährung wegen "Kindstötung in einem minder schweren Fall" verurteilt.
Die Juristin Antje Arold-Hahn veröffentlichte 2021 mit Unterstützung der Polytechnischen Gesellschaft einen Essay, der am Beispiel von Susanna Margaretha Brandt den Straftatbestand der "Kindstötung" im Wandel der Jahrhunderte untersucht. Die Autorin beschreibt darin die historische Geschichte der Susanna Margaretha Brandt von 1771 und vergleicht sie mit fiktiven Parallelschicksalen in den Jahren 1871, 1971 und 2021, jeweils auf der damals gültigen Rechtsgrundlage.
Immer noch kämpfen Frauen um das Recht auf körperliche Selbstbestimmung. Heute stehen Frauen, die schwanger sind und sich in einer schwierigen Lage befinden, verschiedene Beratungsstellen offen. Sie können sich hier über alle Möglichkeiten informieren und erhalten Unterstützung.
Text: Institut für Stadtgeschichte / Frauenreferat der Stadt Frankfurt am Main, 2022
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