Kunst im öffentlichen Raum Frankfurt

Bartana, Yael

geb. 1970 in Afula, Israel
lebt in Berlin und Amsterdam

1996 schloss Yael Bartana ihr Studium der bildenden Kunst mit Schwerpunkt Fotografie an der Bezalel Academy of Arts and Design, Jerusalem ab. 1999 erhielt sie einen BFA in bildender Kunst an der School of Visual Arts, New York. Im Anschluss zog sie nach Amsterdam, wo sie an der Rijksakademie studierte, und dann nach Berlin, dem heutigen Standort ihres Ateliers. Ihre Installationen, Filme und Fotografien werden weltweit ausgestellt. Unter vielem anderen erarbeitete die Künstlerin 2011 den polnischen Beitrag für die 54. Biennale di Venezia – zugleich ihr bekanntestes Projekt And Europe Will Be Stunned. Auf der 60. Biennale 2024 gestaltet sie mit Ersan Mondtag den deutschen Pavillon unter dem Titel Tresholds.
In ihrem Werk verbindet Bartana dokumentarische Aspekte mit poetischer Verfremdung. Inhaltlich geht es ihr um die großen historischen Erzählungen, die dazu beitragen, nationale und andere kollektive Identitäten zu formen. Mit welchen Bedeutungen sind Begriffe wie beispielsweise "Heimat" und "Zugehörigkeit" aufgeladen? Diesen Bedeutungen geht Bartana nach, indem sie die Bild­sprachen von Identität und Gedenk­politik, Nationen und sozialen Bewegungen erforscht. Weiterhin analysiert – und erfindet – sie öffentliche Rituale, Zere­monien und soziale Praktiken, die dazu dienen, kollektive Identitäten zu schaffen.
Ein Beispiel für das Vorgehen Bartanas ist das Kernstück der großen Werkschau Redemption Now (letzter Zugriff 05.03.2024) im Jüdischen Museum Berlin 2021: die Auftragsarbeit Malka Germania (dt. Königin Germania), eine dreikanalige Video- und Audioinstallation. Ausgangspunkt ist hier die Vorstellung, dass eine Heilsgestalt Erlösung bringen kann: eine Idee, die die gesamte Menschheitsgeschichte begleitet, etwa als Aspekt von Religionen und von sozio-politischen Umbrüchen. In Bartanas Arbeit ist es ein androgyner Messias, der auf einem Esel in Berlin einreitet und hier einen Umbruch auslöst: Deutsches Kulturgut – darunter eine Goethe-Büste und Reclam-Hefte – fliegt aus dem Fenster auf die Straße; ein Mann mit Kippa tauscht deutsche gegen hebräische Straßennamen aus; ein Trupp israelischer Soldaten läuft auf den Reichstag zu; unter gewaltigem Tösen taucht Alfred Speers "Welthauptstadt" Germania aus dem Wannsee auf; und zum Schluss sieht man Menschen mit Koffern an Bahnsteigen.
Bei den Zuschauenden aktiviert dies Szenen aus einem gemeinsamen Un­bewussten, die zunächst schockieren und im besten Fall reflektieren lassen: Was ist hier eigentlich gezeigt – eine zionistische Phantasie? Eine antisemitische Phantasie? Beides? Keines? Dieses Erschrecken über die Bilder ist Absicht, Bartana spielt damit: "Achten Sie darauf, was Sie wirklich sehen […] Wir wissen nicht, wohin die Menschen mit den Koffern gehen, es gibt keine Gewalt. Wir alle tragen das kollektive Wissen aus dem Kino, aus Archiven, von historischen Fotos und Dokumentationen in uns. Diese Bilder bringen wir mit. Deshalb denken wir, dass wir etwas sehen, das es im Film gar nicht gibt." (Zitiert nach der Rezension von Sonja Zekri; Süddeutsche Zeitung, 01.07.2021; letzter Zugriff 05.03.2024). Gelingt es, die Bilder von ihrer historischen Last zu befreien, vermag Kunst befreiend zu wirken: Erlösung durch Kunst. Dann können Bilder wie auch die Geschichte in der Zukunft neu geschrieben werden, so der optimistische Standpunkt, der sich hier zeigt.
Auch das Frankfurter Denkmal für die Kindertransporte, Das Waisen-Karussell (2021), knüpft an einem allgemeinen Bild an: an einem Kinderkarussell im alten Stil, wie es noch heute in Variationen auf vielen Spielplätzen steht. Die Kindertransporte boten 1938/1939 rund 20.000 jüdischen Kindern die Möglichkeit, ins rettende Ausland zu gelangen, während ihre Familien im nationalsozialistischen Deutschland zurückbleiben mussten. Vor diesem Hintergrund thematisiert Das Waisen-Karussell die Leerstelle, die nach der hoffnungsvollen wie auch schmerzlichen Abreise der Kinder entstand; es ist den Kindern und ihren Familien gewidmet, die voneinander getrennt wurden und sich häufig nie wieder sahen. Man kann es wie das Spielgerät benutzen, doch lässt es sich nur mit sehr großer Anstrengung in Bewegung setzen. Das Denkmal geht auf die Initiative von "Kindertransport-Kindern" zurück, der Entwurf Bartanas setzte sich bei einem eingeladenen Wettbewerb durch.

Text: Christine Taxer, 2024

Mehr zur Künstlerin:
Website Yael Bartana
Bio Jüdisches Museum Berlin
Ausstellung Jüdisches Museum Berlin

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