Seit der Inbetriebnahme der U-Bahnhalte Habsburgerallee erstreckt sich das Mosaik von Manfred Stumpf über die Tunnelwände: 66 Esel, die auf beiden Tunnelseiten jeweils in Fahrtrichtung angebracht sind und hintereinander her wandern. Das Motiv des schreitenden Esels stammt aus der biblischen Szene mit dem Einzug Jesu in Jerusalem: Von der Tradition fixiert, zeigt sie Jesus, der auf einem Esel reitet und einen Palmwedel in der Hand hält. Für den Künstler ist dieses Bild zu einer "Ikone" geworden, das er in seinem Werk immer wieder aufgreift. Auch der reitende Jesus der "Ikone" kommt auf dem Frankfurter Mosaik vor, allerdings handelt es sich hier um nur eine Variante: Jeder Esel trägt etwas anderes auf seinem Rücken.
Wozu nun dieser Zugriff auf die christliche Kunst? Die tradierten Motive stellen dem Zeichner Manfred Stumpf eine Bildsprache zur Verfügung, die in ihrer Symbolhaftigkeit auf zentrale Aussagen beschränkt und als Bestandteil der Tradition für alle verständlich ist. Esel, das bedeutet Bescheidenheit, Genügsamkeit, Gewaltlosigkeit. Die Palme steht für Heiligkeit, Sieg, Leben. Der Reiter wiederum erinnert an die Ehrung des Messias an Palmsonntag, der nur wenige Tage später das von einer großen Menschenmenge skandierte "Kreuzige ihn" folgte – pellt man das christliche Passionsgeschehen ab, kommt der Kern der Geschichte zum Vorschein: Übrig bleibt die Spannung von Triumph und Scheitern.
Diese Bildsprache also bringt Manfred Stumpf in eine Verbindung mit der heutigen Realität. Nicht nur wurden die Esel am Computer entworfen, darüber hinaus sind sie mit Gegenständen unserer Zeit beladen. Zu sehen sind beispielsweise eine Uhr, eine Zigarettenschachtel, ein Bildschirm, Kreditkarten, ein Atomkern, ein Blaulicht. Wohin führen uns die mit den "Errungenschaften unserer Zivilisation" beladenen Esel?
Text: Christine Taxer, 2021