Auf dem südlichen Brückenkopf der Friedensbrücke befindet sich ein echtes Meisterwerk: der Hafenarbeiter des belgischen Bildhauers Constantin Meunier. 1893 entstanden, wurde er vom Unternehmer und Leiter der Cassella-Werke Friedrich Ludwig von Gans erworben und 1910 hier, am damaligen Westhafen, aufgestellt. Ein gleichzeitig gestiftetes Werk desselben Künstlers ist der Sämann, der im Günthersburgpark steht.
Die Haltung der lebensgroßen Bronzefigur entspricht griechisch-antiken Statuen. So sind Standbein und Spielbein ausgebildet, und ihnen folgen Stellung und Bewegung aller anderen Körperteile. Im Unterschied zu antiken Diskuswerfern und Göttern ist der Hafenarbeiter allerdings bekleidet; er trägt Arbeitskleidung, unter anderem eine Kapuze, die beim Schleppen der schweren Jutesäcke den Nacken schützte. Und auch das Thema ist neu – die Darstellung arbeitender Menschen setzte sich Ende des 19. Jahrhunderts gerade erst durch, noch galt sie als der Kunst nicht angemessen.
Schaut man in der Zeit etwas nach vorn, so begegnen 20, 30 Jahre später Figuren von Arbeitern in großer Zahl; in der Kunst des Sozialismus wie auch des Nationalsozialismus sind sie geradezu ein Hauptthema. Aber eben "in Masse" – und der Kontrast verdeutlicht ein weiteres Merkmal des Hafenarbeiters: Er vertritt nicht "eine Rasse oder eine Klasse" (wie Michael Hierholzer herausstreicht; 15.8.2005, FAZ), es handelt sich nicht um ein Exemplar einer bestimmten Berufsgruppe, vielmehr tritt uns mit ihm ein menschliches Individuum entgegen. Indem er die Haltung mit den Helden und Göttern teilt, strahlt er Würde aus; er verficht Individualität und Selbstbestimmung – gerade auch in unserer Zeit an diesem Ort: Indem er sich direkt an einer der meistbefahrenen Straßen der Stadt behauptet, steht er für die Standhaftigkeit des Einzelnen inmitten des modernen Getriebes.
Text: Christine Taxer, 2021